Zagajewski, Adam: Nach Lemberg fahren (Jechać do Lwowa in German)
Jechać do Lwowa (Polish)
Rodzicom |
Nach Lemberg fahren (German)Den Eltern
Nach Lemberg fahren. Von welchem Bahnhof nach Lemberg, wenn nicht im Traum, bei Tagesanbruch, wenn Tau die Koffer bedeckt und Schnellzüge und Torpedos eben geboren werden. Plötzlich nach Lemberg fahren, um Mitternacht, tags, im September oder im März. Wenn es Lemberg gibt, unter dem Schonbezug der Grenzen und nicht nur in meinem neuen Paß, wenn die Wimpel der Bäume, die Eschen und Pappeln immer noch geräuschvoll atmen, wie Indianer, und Bäche ihr dunkles Esperanto stammeln und Ringelnattern wie Weichheitszeichen der russischen Sprache in Gräsern verschwinden. Packen und fortfahren, ganz ohne Abschied, mittags, untertauchen wie in Ohnmacht fallende Fräulein. Und Kletten, die grüne Armee der Kletten, und unter ihnen, unter Sonnenschirmen des Venezianischen Cafés, Sprechen Schnecken von Ewigkeit. Aber die Kathedrale erhebt sich, weißt du noch, senkrecht, so senkrecht wie der Sonntag und die weißen Mundtücher und der Eimer voll Himbeeren auf dem Fußboden und mein Verlangen,as noch nicht da war, nur Gärten und Unkraut und nur der Bernstein der Süßkirchen und der unanständige Fredro. Immer gab's zu viel Lemberg, niemand konnte alle Stadtteile kennen, das Flüstern von jedem Stein erlauschen, den die Sonne versengt hat, die orthodoxe Kirche schwieg ganz anders nachts als die Kathedrale. Die Jesuiten tauften die Pflanzen, Blatt für Blatt, aber sie wuchsen, ohne Besinnung, und Freude versteckte sich überall, in Korridoren und in Kaffe- mühlen, die sich selbsttätig drehten, in blauen Teekannen und im Stärkemehl, das der erste Formalist war, in Regentropfen und in den Dornen der Rosen. Unterm Fenster welkten erfrorene Forsythien. Die Glocken schlugen und die Luft bebte, die Hauben der Nonnen segelten wie Schoner vor dem Theater, es gab so viel Welt, sie mußte endols oft Zugaben geben, das Publikum raste und wollte den Saal nicht verlassen, Meine Tanten wußten noch nicht, daß ich sie einmal wiederbeleben würde, sie lebten so zuversichtlich und derart einzeln, die Dienstmädchen, rein und gebügelt, liefen frische Sahne holen, in den Häusern gab's etwas Wut und die große Hoffnung. Brzozowski traf zu Vorlesungen ein, einer von meinen Onkeln schrieb ein Gedicht, betitelt Warum, dem Allmächtigen gewidmet, und es gab zu viel Lemberg, es paßte in kein Gefäß, sprengte die Gläser, ergoß sich aus Teichen, Seen, rauchte aus allen Schornsteinen, wurde zu Feuer und Sturm, lachte mit Blitzen, besänftigte sich, kehrte nach Hause zurück, las im Neuen Testament, schlief auf dem Liegesofa unterm Huzulenkelim, es gab zu viel Lemberg, und jetzt gibt's die Stadt überhaupt nicht, sie wuchs unaufhaltsam, aber die Scheren schnitten, die kalten Gärtner waren erbarmungslos lieblos, wie immer im Mai, ach wartet, bis der warme Juni kommt und die weichen Farne, das endlose Feld des Sommers, das heißt der Wirklichkeit. Aber die Scheren schnitten, längs der Linie und quer Durchs Gewebe, Schneider, Gärtner und Zensoren Schnitten an Körpern und Kränzen, die Gartenscheren arbeiteten unermüdlich, wie an Ausschneidebildern von Kindern, wo man ein Reh oder einen Schwan herausschneiden muß. Scheren, Taschenmesser, Rasierklingen kratzten, schnipselten, kürzten die molligen Kleider der Prälaten und der Plätze und der Häuser, die Bäume fielen lautlos wie im Urwald, und die Kathedrale zitterte, und man nahm gegen Morgen Abschied ohne Taschentücher und Tränen, die Lippen so trocken, ich werde dich nie wieder sehen, so viele Tode warten auf dich, warum muß jede Stadt zum Jerusalem werden und jeder Mensch zum Juden, und jetzt nur in Eile packen, ständig, täglich und atemlos fahren nach Lemberg, es ist ja vorhanden, ruhig und rein wie ein Pfirsich. Lemberg ist überall. |