Seifert, Jaroslav: Die Pestsäule (Morový sloup in German)
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Morový sloup (Czech)Do čtyř stran světa se obrací čtvero demobilizovaných knížat vojska nebeského. A na čtyřech stranách světa je zamčeno na čtyři těžké zámky.
Sluneční cestou se potácí
Pak od hodiny Naděje
Životy naše se sunou
Dnes ještě chodívám kolem sloupu, Byla to hodina Růže.
Prosím tě, hochu, vyskoč na kašnu
Matouš je první.
A co píše druhý, svatý Marek?
A evangelista Lukáš?
Konečně co svatý Jan,
Byl jsem pokřtěn v morové kapli
Když býval v Praze dýmějový mor,
Dlouho jsem chodíval
Na schodech olšanských hospod
Už je to tak dávno,
Někdy jsem postával u dřevěné zvonice.
A byly mezi nimi nejen ženy,
Jenom si nedejte namluvit,
Mor dosud zuří a lékaři
Kdykoliv jsem vyhlédl z okna,
Na juliánovských lukách
Jednou si přisedla mladá cikánka.
Vzala mi ruku násilím
Co jsem se napsal rondelů a písní!
Věnec sonetů jsem ti položil
Náhle jsme se však sešli
Dlouho se mi však zdávalo,
Má kůže třikrát natřená tamponem
Jedna z nich, ta uprostřed,
Už také rozsvítili nade mnou lampu,
Už mi však podvazovali cévky
Ležel jsem na boku,
V té chvíli však počal proudit
Sestřičko, měla prý jste modřiny.
To nejhorší mám za sebou,
Po celý život byl jsem věrný lásce.
Kdybych zavřel oči v tomto sevření,
S otevřenýma očima
Ti, kdož odešli
Ať tedy rozdrtí její kolena Tu je přesný výčet řízených střel: (Missile)
Země - vzduch Surface-to-Air
Mlč, město, není slyšet jez.
Ústa - oči Mouth-to-Eyes
Dokud ruka nestáhne večer roletu
Na malé obloze domova,
Počítá už skřivánčí dny,
Ale v mateřídouškovém pelíšku
Proč jen se mluví o šedivých vlasech
Po krupobití hrobů
Kašna už je prázdná,
Ale odhodit život jen tak,
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Die Pestsäule (German)In die vier Himmelsrichtungen wenden sich
die vier demobilisierten Fürsten der himmlischen Heerscharen. Und die vier Himmelsrichtungen sind versperrt mit vier schweren Schlössern. Auf der Sonnenbahn taumelt der alte Säulenschatten von der Stunde der Ketten zur Stunde des Tanzes. Von der Stunde der Liebe zur Stunde der Drachenkrallen. Von der Stunde des Lächelns zur Stunde des Zorns, Dann von der Stunde der Hoffnung zur Stunde des Niemals, von wo nur ein kleiner Schritt ist zur Stunde der Hoffnungslosigkeit und zum Drehkreuz des Todes. Unsere Leben rücken so vor wie Finger auf Glaspapier, Tage, Wochen, Jahre, Jahrhunderte. Und es gab Zeiten, da durchweinten wir lange Jahre. Heute noch gehe ich zu der Säule, an der ich oft wartete und lauschte, wie das Wasser sprudelte aus den apokalyptischen Mäulern, jedesmal von neuem erstaunt über die verliebte Kokettheit des Wassers, das am Brunnenboden zerschellte, bis der Säulenschatten auf dein Gesicht fiel. Das war die Stunde der Rose. Ich bitte dich, Junge, springe auf den Brunnen und lies mir schnell vor, was die vier Evangelisten auf die Steinseiten schrieben. Matthäus ist der erste. Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen möge? Und was schreibt der zweite, Sankt Markus? Zündet man auch ein Licht an, daß man’s unter einen Scheffel oder unter einen Tisch setze? Und der Evangelist Lukas? Das Auge ist des Leibes Licht. Wo das Aas ist, da sammeln sich auch die Adler. Endlich der heilige Johannes, Liebling des Herrn? Das Buch auf seinem Schoß ist geschlossen. Nun, Junge, dann öffne es. Sei’s mit den Zähnen. Getauft wurde ich in der Pestkapelle des heiligen Rochus. Am Rande von Wolschan. Wütete in Prag die Beulenpest, bettete man rings um die Kapelle die Toten. Einen über den anderen, in mehreren Lagen. Ihre Knochen bildeten nach Jahren schlecht geschichtete Scheiterhaufen, sie brannten im Kalksturm des Lehms. Lange noch besuchte ich die traurige Stätte, dem Süßen des Lebens aber entsagte ich nicht. Ich fühlte mich wohl im warmen Menschenbrodem, und bewegte ich mich unter den Menschen, schnappte ich nach dem Duft des Frauenhaars. Auf den Treppen von Wolschaner Kneipen hörte ich abends den Leichenträgern und Totengräbern zu, wenn sie ihre derben Lieder sangen. Sehr lang ist’s her, verstummt sind die Kneipen, und am Ende begruben die Totengräber einer den anderen. Manchmal stand ich beim hölzernen Glockenturm. Die Glocke erdröhnte, sobald in der Kapelle der Tote aufgehoben wurde. Sie ist längst verstummt. Ich betrachtete gern die Statuengruppe im Empirestil weggeholt vom Kleinseitner Friedhof. Die Statuen trauerten noch immer um ihre Toten, die sie hatten dort lassen müssen. Langsam gingen sie davon, mit dem Lächeln ihrer antiken Schönheit. Und nicht nur Frauen waren es, sondern auch Soldaten mit Helm und Waffe, falls ich mich nicht täusche. Ich bin lange nicht mehr dort gewesen. Lagt euch bloß nicht einreden, die Pest sei in der Stadt erloschen. Habe ich doch selbst noch viele Särge in jenes Tor fahren sehen, und es ist nicht das einzige dort. Die Pest wütet weiterhin, allein die Ärzte geben der Krankheit offensichtlich andere Namen, damit keine Panik entsteht. Immer ist es derselbe Tod, nichts anderes, und er ist derart ansteckend, daß ihm keiner entgeht. Sooft ich aus dem Fenster schaute, zögen hagere Pferde den unheilverkündenden Wagen mit dem mageren Sarg. Jetzt läutet man nicht mehr so häufig, malt keine Kreuze mehr an die Häuser und räuchert nichts mehr mit Wacholder aus. Auf den Wiesen von Juliánov lagen wir an manchem Abend noch, wenn die Stadt schon im Dunkel versank und im toten Arm der Switawa die Frösche zu weinen begannen. Einmal hockte sich eine Zigeunerin zu uns. Sie haue die Bluse nur halb zugeknöpt und las aus der Hand. Zu Halas sagte sie: Du erlebst die Fünfzig nicht. Zu Artuš Černík: Du überlebst sie kurz. Ich mochte mir nicht aus der Hand lesen lassen, hatte Angst. Mit Gewalt nahm sie meine Hand und rief erzürnt: Du wirst lange leben! Es klang wie eine Drohung! Wie viele Rondos und Lieder habe ich geschrieben! Krieg herrschte in allen Himmelsrichtungen, und in allen Himmelsrichtungen herrschte Trauer. Dennoch raunte ich Ohrringen mit Rauten Liebesverse zu. Dafür schäme ich mich ein wenig. Eigentlich aber nicht. Einen Sonettenkranz legte ich dir in die Falten deines Schoßes. Er war schöner als die Lorbeerkränze für die Sieger im Auto-Cross. Plötzlich aber begegneten wir einander an den Brunnenstufen, und jeder ging anderswohin anderswodurch und anderswann, auf einem anderen Gehsteig. Lange noch schien mir, ich würde deinen Beinen begegnen, manchmal vernahm ich dein Lachen, doch du warst es nie. Sogar deine Augen glaubte ich einmal zu sehen. Aber nur ein einziges Mal. Meine Haut, dreimal bestrichen mit jodgetränktem Tupfer, war bereits braungoldfarben. Solche Gesichtsfarbe haben die Tänzerinnen in indischen Tempeln. Ich heftete den Blick an die Decke, um sie besser sehen zu können, und ihr bekränzter Zug umrundete den Tempel. Eine von ihnen, die in der Mitte, mit den allerschönsten Augen, lächelte mich an. Gott, welcher Unsinn jagt mir durch den Kopf, obwohl ich bereits auf dem Operationstisch liege mit einem Opiat im Blut. Schon ist die Lampe über mir eingeschaltet, der Chirurg setzt das Skalpell an und führt einen langen festen Schnitt auf meinem Rücken, dort, wo das Rückgrat ist. Ich werde wieder wacher, schließe darum fest die Augen. Vorher aber erblicke ich noch die weiblichen Augen über der sterilen Gesichtsmaske und finde noch Zeit zu lächeln. Guten Tag, schöne Augen. Mir aber wurden schon die Adern abgebunden, und Spreizer machten meine Wunde klaffen, damit der Chirurg die paravertebrale Muskulatur abheben und das Rückgrat freilegen konnte. Mein Atem ging leise stöhnend. Ich lag auf der Seite, die Arme an den Gelenken festgebunden, die Hände frei, gehalten jedoch von der Schwester auf ihrem Schoß, unmittelbar vor meinem Kopf, und ich packte ihren Schenkel, drückte ihn krampfhaft an mich, wie der Taucher die schlanke Amphora, wenn er zur Oberfläche strebt. Im selben Augenblick begann das Pentatol in meine Adern zu strömen, und alles erlosch in mir. Dann war es finster wie beim Weltuntergang, ich empfand nichts mehr. Schwesterchen, Sie haben angeblich blaue Flecken. Seien Sie mir nicht böse. Im stillen jedoch sage ich mir: Schade, daß ich sie nicht emportragen konnte, die verlockende Beute, bis hinauf, bis ans Licht, bis vor die Augen. Das Schlimmste habe ich hinter mir, meine ich, ich bin schon alt. Das Schlimmste habe ich vor mir, ich lebe noch. Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich war glücklich. Manchmal einen ganzen Tag, manchmal eine ganze Stunde, manchmal ein paar Minuten nur. Mein ganzes Leben über blieb ich der Liebe treu. Und sind die Hände der Frau mehr als Flügel, was sind dann ihre Beine? Gern habe ich ihre Kraft geprüft. Sie ist zart beim Umklammern. Mögen also Knie meinen Kopf zermalmen! Schlösse ich in solcher Umklammerung die Augen, wären sie nicht so berauscht, und mir hämmere es nicht so toll hinter den Schläfen. Aber warum sollte ich sie schließen? Mit offenen Augen habe ich dieses Land durchmessen. Es ist schön, das wißt ihr. Es war mir vielleicht mehr als alle meine Lieben zusammen. Diese Umarmung hält ein ganzes Leben. War ich hungrig, nähren mich, fast täglich war’s nötig, die Worte seiner Lieder. Jene, die fortgingen und eilends in andere Länder flohen, haben vielleicht schon erkannt: Die Welt ist schrecklich! Sie lieben nicht und werden nicht geliebt. Wir wenigstens lieben. Mögen also die Knie meines Landes meinen Kopf zermalmen. Hier die genaue Aufzählung der Marschflugkörper: (Cruise missiles) Boden-Luft Surface-to-Air Boden-Boden Surface-to-Surface Boden-Schiff Surface-to-Sea Luft-Luft Air-to-Air Luft-Boden Air-to Surface Luft-Schiff Air-to-Sea Schiff-Luft Sea-to-Air Schiff-Schiff Sea-to-Sea Schiff-Boden Sea-to-Surface Schweige, Stadt, man hört das Wehr nicht. Und die Menschen gehen und atmen nicht, daß ihre Köpfe überflogen werden von glühenden Küssen, mit der Hand aus einem Fenster ins andere geschickt. Mund-Augen Mouth-to-Eyes Mund-Wange Mouth-to-Face Mund-Mund Mouth-to-Mouth Und so weiter And so on Solange die Hand nicht abends die Jalousie herabzieht und das Ziel verdeckt. Am kleinen Himmel ihres Heims, zwischen Nähkörbchen und Pantoletten mit Federquasten, wächst rasch der heiße Mond ihres Bauches. Sie zählt schon die Tage der Lerche, obwohl die Spatzen noch Mohn picken hinter den Eisblumen. Im Mutterblumennest zieht jemand bereits die Feder des kleinen Herzens auf, damit es sein ganzes Leben genau gehe. Warum nur wird geredet von grauen Haaren und von Weisheit? Brennt der Busch des Lebens allmählich nieder, sind Erfahrungen wertlos. Sie sind es übrigens immer. Nach dem Hagelschlag auf die Gräber ward die Säule emporgeschleudert, und auf ihre Schwere stützten sich vier alte Dichter, um die Seiten der Bücher vollzuschreiben mit ihren Bestsellern. Der Brunnen ist bereits leer, Zigarettenstummel liegen darin, und die Sonne enthüllt nur zögernd die Trauer beiseite geschobener Steine. Hier könnte man sogar betteln. Aber das Leben nur so wegwerfen, für nichts und wieder nichts, das will ich nicht.
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